fluxusfrauen

über das Frauenmuseum, Bonn

von Ingeborg Broska

Vor ca. 30 Jahren wurde in Aachen bei der Eröffnung einer Ausstellung eine Rede auf dem Kopf stehend gehalten. Wir sind inzwischen schon weiter und Wiederholungen in der Kunst geschehen ja meist ungewollt! Deshalb stellte ich mir vor, daß heute, während ich rede, das Publikum auf dem Kopf stehen sollte.

Damit wäre schon ein Fluxuskriterium erfüllt: Demokratie in der Kunst (jede/r kann Kunst machen - wie auch schon Yoko Ono in den 60er Jahren sagte...)

Die Idee des Fluxus wurde lange vor der Fluxusbewegung in der Kunst geboren. Fluxus bedeutet soviel wie Strömen bzw. Fließen. Von Fluxus als Kunstrichtung sprach man erstmalig in den 60er Jahren, als Kunst sich weg von den bis dahin tradierten Normen bewegte. Ephemere - vergängliche Kunst - trat in den Vordergrund. Mit der Erfindung der Kommunikationsmedien wurde es möglich, ein Kunstereignis „multimedial" festzuhalten.

Fluxusbewegungen entstanden aufgrund neuer Weltanschauungen parallel in den verschiedenen Kontinenten/Ländern der Erde gleichzeitig (in Europa ebenso wie in den USA, Japan etc.)

Verwirrung der alltäglichen Betrachtungsweise, kritische künstlerische Hinterfragung, politisches Engagement in der Kunst wurden zunehmend wichtiger.. Zugleich wurde eine bewußte Einheit von Kunst und Leben angestrebt. Die einzelnen Kunstformen (z.B. Musik, Film, Video, Theater, Bildende Kunst, Literatur, Photographie etc.) sollten integriert werden. Die Kunst wurde „vom Sockel" bzw von der Wand heruntergeholt. Performances, Happenings, Aktionen traten anstelle der üblichen Vernissagen.

Als Geburtsstunde des Fluxus wird heute 1962 angesehen - das erste Fluxusfestival in Wiesbaden. Im „Fluxeum" leben und arbeiten seit damals ständig Künstlerinnen und Künstler. Die Einheit von Kunst und Alltag wurde gemäß der Fluxusidee wieder verwirklicht - orientiert an frühen Lebensformen vor der Industriellen Revolution. Heute streitet man darüber, wer das Wort "Fluxus" erfunden hat. Aber experimentelles Forschen, Geschichtsbewußtsein, Verspieltheit, Humor, Spaß, Lebendigkeit. Sparsamkeit der Mittel... sind weiterhin typisch für Fluxuskunst, ebenso die Einbeziehung des Zufalls in ein Kunstereignis.

Heute weiß man/frau, daß ein wichtiges Fluxuskriterium: Demokratie in der Kunst - insbesondere für Künstlerinnen, nicht verwirklicht wurde. Das Phänomen, daß Künstlerinnen in der Öffentlichkeit meist außen vor blieben, war in fast allen Ländern, in denen Fluxusbewegungen entstanden, zu beobachten. . War das Prinzip des Zufalls schuld daran?

Der Titel meines Vortrags lautet: "Frauen im Fluxus". Erst beim Lesen des Programms fiel mir auf, daß dort von "Fluxusmännern" die Rede ist. "Fluxuskünstlerinnen" hätte die Überschrift heißen sollen. Selbst fortschrittlichen partnerschaftlichen Programmgestaltern/Innen können solche Fehler unterlaufen. Hätte sich bis heute nichts geändert, stände ich nicht hier...

Frauen im Fluxus gab es wahrscheinlich genausoviele wie Männer, jedoch traten sie mit einigen Ausnahmen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, kaum oder gar nicht in Erscheinung.

Bei der Durchsicht von Fluxusliteratur stellt man sehr schnell fest, daß kaum Frauen bei öffentlichen Aktionen zu sehen waren. Das ist logisch, denn sie waren im Hintergrund (Küche) damit beschäftigt, die kommunikativen Vorausetzungen für die "Soziale Plastik" zu schaffen (Schnittchen, Häppchen, Drinks u.v.m.). Ein neuer Kunstbegriff wurde kreiert: die "asoziale Plastik". Ein Tritt in die Fettecke!

Zitat Mary Bauermeister: "... was war da alles noch an geistigen Kräften, die daran glaubten, unsere Gesellschaft verändern zu können... Wie Paik einmal sagte: ´Ich werde bekannt als Künstler, das ist der Weg für mich, aber ich werde dann der Menschheit helfen, Änderungen herbeizuführen.´ ... Ich mietete ein großes Atelier... Dieses Atelier wurde automatisch auch der Wohnraum von allen, alles lag voller Matratzen... Ich habe alle ernährt und finanziell durchgezogen... Ich bin wie ein Hausierer mit meinen Bildern von Haus zu Haus gegangen..."

Die Gesponsorten waren allesamt Männer. In Mary Bauermeisters Atelier traf sich damals die Avantgarde aus Musik und Kunst. Ohne sie wäre eine solche Szene damals nicht entstanden.

Bei einem Besuch in ihrem Atelier sagte sie mir, daß sie zwar in Amerika in jedem wichtigen Museum vertreten sei, jedoch in keinem einzigen deutschen.  Aber wir können ja noch hoffen: siehe Paik!

Von 18,5 Kilo Fluxusliteratur, die ich hier in meinem Wäschekorb mitgebrachte habe, sind immerhin 0,4 kg dabei, in der über Künstlerinnen berichtet wird. Bei 1,03 lfm Dokumentation sind 2,5 cm denselben gewidmet. In Kilogramm, Metern oder bei Auszählen der Dokumentationsfotos komme ich immer auf 1 bis 2 %.

Seit 12 Jahren arbeite ich im Frauenmuseum Bonn, und es ist mir ein besonderes Anliegen, Fluxuskünstlerinnen vorzustellen. Ich betätige mich sozusagen als Fluxuskunstarchäologin, denn oft ist es sehr schwierig, vergessene Künstlerinnen auszugraben. Künstlerinnen sollen ja auch Forscherinnen (insbes. der Frauengeschichte) sein, wollen sie etwas bewußtmachen.

Seit vielen Jahren taucht immer wieder die Frage auf, was denn überhaupt der Unterschied zwischen Frauen- und Männer-Kunst sei. Zwei Beispiele: Jürgen Klauke mit Putzeimer auf dem Kopf (er sieht nichts mehr), ein Beitrag zum Jahr der Frau.  Rita Preuss mit Kochtopf auf dem Kopf und Petersilie im Mund. Dieses Bild heißt "Selbst mit Kochtopf". 

Umwickelt ein Künstler einen Baum mit Windeln, weckt dies andere Assoziationen, als wenn eine Künstlerin, die selbst Kinder geboren hat und jahrelang Windeln wusch, dasselbe tut. Das Ergebnis ist ästhetisch gleich. Der Kontext, in dem eine Arbeit entstand, ist jedoch interessant. Kunstkonsument/Innen können sich alles unreflektiert an die Wand hängen, aber reicht das aus? Die Verbindung zwischen Haushalt (Alltag) und Kunst wurde immer schon von Künstlerinnen vollzogen, blieb aber unbeachtet, bis Künstler diesen Bereich okkupierten ("sponsort by my housewife"). Von Künstlerinnen beiben jedoch oft nur Kochrezepte übrig. 

Über den musealen und künstlerischen Tellerrand hinausschauend, wurde in Bonn 1993 eine Ausstellungsreihe "Fluxus-Künstlerinnen im Frauenmuseum" gestartet. Schon 1985 hatte Mary Bauermeister dort auch - sozusagen als Vorläuferin - eine Einzelaustellung. Ihre in den 60er Jahren entstandenen freien Textilarbeiten waren wegweisend für die Kunst und werden heute immer wieder von anderen Künstlerinnen und Künstlern nachempfunden. Seit den 70er Jahren beschäftigt sich die Künstlerin mit "Grenzwissenschaften, Heilung, Symbolen, Farben und deren Energien".

Weitere Künstlerinen, die im Frauenmuseum mit Einzelausstellungen bedacht wurden oder werden, sind Yoko Ono, Natalie LL, Marianne Tralau, Carolee Schneemann oder Takako Saito.

Sehr lange bevor ich Yoko Ono als Künstlerin kennenlernte, fand ich ein Werk von ihr, welches mich noch bis heute fasziniert: "a hole to see the sky through" von 1971. Ihre Ausstellung "Color fly sky"  zeigte Objekte, Fotos, Schriften und Filme aus den 60er bzw. 70er Jahren. Ihre Arbeit als Sängerin wurde dabei berücksichtigt.

1962 machte sie als erste eine Ausstellung (in Tokio), die nur aus Wandbeschriftungen und Musik bestand. Diese Präsentation erregte großes Aufsehen, warf sie doch alle bisher tradierten Vorstellungen von Kunstereignissen über Bord.

Yoko Ono arbeitete schon mit Free-Jazz-Musiker/Innen zusammen, bevor sie als bereits international geschätzte Avantgarde-Künstlerin ab 1966 gemeinsam mit John Lennon zahlreiche Aktionen gegen den Krieg inszenierte. Sie gehört zu den aktivsten, eigenständigsten, progressivsten Künstlerinnen der Fluxus-Generation im Bereich der Bildenden Kunst, der Musik und auch im Bereich Film bzw. Video. Zwölf Jahre nach dem Tod ihres Mannes John Lennon wurde sie in einigen Medien vor ihrer Ausstellung im Frauenmuseum immer noch als "Witwe" angekündigt. Für eine solche Negierung einer eigenständigen Künstlerinnenpersönlichkeit gibt es keine männliche Analogie.

Natalie LL kam als nächste Fluxuskünstlerin im November 1995 ins Frauenmuseum. Sie ist die "bedeutendste und international rennomierteste Künstlerin Polens" (Dr. R. Misselbeck). Bereits in den 60er Jahren füllten Dokumentationen ihrer "consumption art" die Seiten internationaler Kunstzeitschriften. "Ein grundlegendes Prinzip ihrer Arbeit besteht darin, daß ihre Fotografien keine Wirklichkeit abbilden, sondern Fiktionen, ein konzeptionelles Vorgehen, in der das Medium Fotografie stellvertretend für andere künstlerische Aussagen eingesetzt wird." 

Die Ausstellung Natalie LL´s sorgte bei verschiedenen Besucher/innen mehrmals für Aufregung. Ihre Banane, aus der "consumption art" der 60er, wurde zu unrecht ausschließlich als phallisches Relikt bezeichnet, denn sie ist ja nun mal weiblich!

Natalie LL´s schwarz-weiße grafische "Altardecken" (was nicht der Bezeichnung der Künstlerin entliehen ist) entpuppten sich bei näherer Betrachtung als hocherotische Arrangements, welche die ganze Scheinheiligkeit einer Gesellschaft entlarvt. Tod und Erotik wurden hier humorvoll sarkastisch miteinander verbunden.

Eine Performance zum Nibelungenlied mit musikalischen Elementen aus der Wagner-Oper verwirrte Besucher/Innern völlig: Dabei wurde hier nur Heldentum persifliert. Schade, daß sowohl Presse als auch Publikum für soviel Bewußtseinserweiterung oft nicht sensibel sind.

Marianne Tralau ordnete sich nie selbst als Fluxuskünstlerin ein. Dies geschah zum ersten Mal durch das Fluxeum in Wiesbaden. Nach ihrem Kunststudium hat Tralau, als Gobelinweberin ausgebildet, eine sehr intensive Beziehung zu Textilien , insbesondere zu Wäsche, ausgebildet. "Indem die Wäsche ins Museum kommt, emanzipiert sie sich", sagt die Künstlerin. In unserer Gesellschaft ist die Hausarbeit ja weitestgehend unsichtbar geworden und somit auch die Verdienste derjenigen, die sie verrichten.

Marianne Tralau gründete 1985 die KAOS-Galerie in Köln, ein kommunikativer, kooperativer, progressiver Ort der "anderen Art". Offene Themenausstellungen sorgen hier laut Tralau "für frischen Wind in der Kölner Kunstszene".

Carolee Schneemann aus New York wird die Fluxusreihe im Frauenmuseum im Frühjahr 1997 fortsetzen. Sie war Tänzerin, bevor sie mit Fluxuskünstler/Innen zusammenarbeitete.

1967 veranstaltete sie ihre legendäre "meat joy erotik": rohes Fleisch wurde im Kontext zur Erotik betrachtet. "Sie stieß zu Urzeitlichem und zu Grundgeschichten der menschlichen Psyche vor." 

Takako Saito ist seit den Anfängen der Fluxusbewegung über den "Tod des Fluxus (s. Performance von Al Hansen mit gleichnamigem Titel!) - soweit dieser überhaupt stattgefunden hat - bis heute in der Kunstszene ständig präsent. Sie verzeichnet kontinuierliche Ausstellungs- und Performancetätigkeit über einen Zeitraum von über dreieinhalb Jahrzehnten hinweg - und das auf allen fünf Kontinenten. In der Galerie v.d. Milwe in Aachen bot sie unlängst eine "Drei Sekunden Performance". Sie ist Erfinderin des "You and me Shops", eine kommunikative Einrichtung auf der Basis künstlerischen Austausches. Auf der Biennale in Venedig ist sie regelmäßig vertreten. Außerdem beteiligt sich Takako an weltweiten Friedensaktionen. Vor zwei Jahren gab sie ihre persönliche Zeitung "bullshit" heraus. Ihre Ausstellung im Frauenmuseum ist für November 1997 anberaumt.

Weitere Ausstellungen in dieser Reihe sind beispielsweise Allison Knowles (New York), Bobby Baker (London), Concha Jerez (Madrid) oder Mieko Suomi (New York) gewidmet.

Die Gründe, warum Fluxus-Künstlerinnen (nicht nur in der Literatur, sondern auch in Museen, Fachzeitschriften, Galerien etc.) unterrepräsentiert sind, sind dieselben, die im Prinzip für alle Künstlerinnen und generell sowieso für Frauen in anderen Berufen gelten, z.B:

• kein kontinuierliches Arbeiten aufgrund ab- gebrochener Ausbildung ( wobei oft konservative familiäre Strukturen daran hinderlich sind, zu Abschlüssen zu kommen)

• Zusammenarbeit mit Lebenspartnern und da bei Vernachlässigung der eigenen Entwick- lung zugunsten einer partnerbezogenen Z u arbeit

• Mangel an Selbstbewußtsein/Bescheidenheit

• fehlendes Management und daraus resultie- render Mangel an Öffentlichkeit

• allgemeine Zurückhaltung der Medien und Multiplikatoren gegenüber Künstlerinnen, weil entsprechende Institutionen von Män- nern dominiert werden und sich die wenigen Frauen oft genauso frauenfeindlich geben wie Männer

Für den durch das Frauenmuseum, BBK und Frauenministerium ausgelobte Gabriele-Münter-Preis für Künstlerinnen über 40 bewarben sich ca. 4000 Frauen. Nicht nur diese enorme Zahl an Bewerberinnen oder etwa das Kölner Künstler/Innen-Verzeichnis belegen:

Künstlerinnen gibt es genausoviele wie Künstler! 

 

Der Vortrag wurde gehalten bei der 2. Performance-Konferenz am 15.6.96 im Rhenania,Köln.