Bei der Durchsicht von Fluxusliteratur stellt man
sehr schnell fest, daß kaum Frauen bei öffentlichen Aktionen zu sehen
waren. Das ist logisch, denn sie waren im Hintergrund (Küche) damit
beschäftigt, die kommunikativen Vorausetzungen für die "Soziale
Plastik" zu schaffen (Schnittchen, Häppchen, Drinks u.v.m.). Ein
neuer Kunstbegriff wurde kreiert: die "asoziale Plastik". Ein
Tritt in die Fettecke!
Zitat Mary Bauermeister: "... was war da alles
noch an geistigen Kräften, die daran glaubten, unsere Gesellschaft verändern
zu können... Wie Paik einmal sagte: ´Ich werde bekannt als Künstler,
das ist der Weg für mich, aber ich werde dann der Menschheit helfen, Änderungen
herbeizuführen.´ ... Ich mietete ein großes Atelier... Dieses Atelier
wurde automatisch auch der Wohnraum von allen, alles lag voller
Matratzen... Ich habe alle ernährt und finanziell durchgezogen... Ich
bin wie ein Hausierer mit meinen Bildern von Haus zu Haus
gegangen..."
Die Gesponsorten waren allesamt Männer. In Mary
Bauermeisters Atelier traf sich damals die Avantgarde aus Musik und
Kunst. Ohne sie wäre eine solche Szene damals nicht entstanden.
Bei einem Besuch in ihrem Atelier sagte sie mir, daß
sie zwar in Amerika in jedem wichtigen Museum vertreten sei, jedoch in
keinem einzigen deutschen. Aber wir können ja noch hoffen: siehe
Paik!
Von 18,5 Kilo Fluxusliteratur, die ich hier in meinem
Wäschekorb mitgebrachte habe, sind immerhin 0,4 kg dabei, in der über
Künstlerinnen berichtet wird. Bei 1,03 lfm Dokumentation sind 2,5 cm
denselben gewidmet. In Kilogramm, Metern oder bei Auszählen der
Dokumentationsfotos komme ich immer auf 1 bis 2 %.
Seit 12 Jahren arbeite ich im Frauenmuseum Bonn, und
es ist mir ein besonderes Anliegen, Fluxuskünstlerinnen vorzustellen.
Ich betätige mich sozusagen als Fluxuskunstarchäologin, denn oft ist
es sehr schwierig, vergessene Künstlerinnen auszugraben. Künstlerinnen
sollen ja auch Forscherinnen (insbes. der Frauengeschichte) sein, wollen
sie etwas bewußtmachen.
Seit vielen Jahren taucht immer wieder die Frage auf,
was denn überhaupt der Unterschied zwischen Frauen- und Männer-Kunst
sei. Zwei Beispiele: Jürgen Klauke mit Putzeimer auf dem Kopf (er sieht
nichts mehr), ein Beitrag zum Jahr der Frau. Rita Preuss mit
Kochtopf auf dem Kopf und Petersilie im Mund. Dieses Bild heißt
"Selbst mit Kochtopf".
Umwickelt ein Künstler einen Baum mit Windeln, weckt
dies andere Assoziationen, als wenn eine Künstlerin, die selbst Kinder
geboren hat und jahrelang Windeln wusch, dasselbe tut. Das Ergebnis ist
ästhetisch gleich. Der Kontext, in dem eine Arbeit entstand, ist jedoch
interessant. Kunstkonsument/Innen können sich alles unreflektiert an
die Wand hängen, aber reicht das aus? Die Verbindung zwischen Haushalt
(Alltag) und Kunst wurde immer schon von Künstlerinnen vollzogen, blieb
aber unbeachtet, bis Künstler diesen Bereich okkupierten ("sponsort
by my housewife"). Von Künstlerinnen beiben jedoch oft nur
Kochrezepte übrig.
Über den musealen und künstlerischen Tellerrand
hinausschauend, wurde in Bonn 1993 eine Ausstellungsreihe "Fluxus-Künstlerinnen
im Frauenmuseum" gestartet. Schon 1985 hatte Mary Bauermeister dort
auch - sozusagen als Vorläuferin - eine Einzelaustellung. Ihre in den
60er Jahren entstandenen freien Textilarbeiten waren wegweisend für die
Kunst und werden heute immer wieder von anderen Künstlerinnen und Künstlern
nachempfunden. Seit den 70er Jahren beschäftigt sich die Künstlerin
mit "Grenzwissenschaften, Heilung, Symbolen, Farben und deren
Energien".
Weitere Künstlerinen, die im Frauenmuseum mit
Einzelausstellungen bedacht wurden oder werden, sind Yoko Ono, Natalie
LL, Marianne Tralau, Carolee Schneemann oder Takako Saito.
Sehr lange bevor ich Yoko Ono als Künstlerin
kennenlernte, fand ich ein Werk von ihr, welches mich noch bis heute
fasziniert: "a hole to see the sky through" von 1971. Ihre
Ausstellung "Color fly sky" zeigte Objekte, Fotos,
Schriften und Filme aus den 60er bzw. 70er Jahren. Ihre Arbeit als Sängerin
wurde dabei berücksichtigt.
1962 machte sie als erste eine Ausstellung (in
Tokio), die nur aus Wandbeschriftungen und Musik bestand. Diese Präsentation
erregte großes Aufsehen, warf sie doch alle bisher tradierten
Vorstellungen von Kunstereignissen über Bord.
Yoko Ono arbeitete schon mit Free-Jazz-Musiker/Innen
zusammen, bevor sie als bereits international geschätzte Avantgarde-Künstlerin
ab 1966 gemeinsam mit John Lennon zahlreiche Aktionen gegen den Krieg
inszenierte. Sie gehört zu den aktivsten, eigenständigsten,
progressivsten Künstlerinnen der Fluxus-Generation im Bereich der
Bildenden Kunst, der Musik und auch im Bereich Film bzw. Video. Zwölf
Jahre nach dem Tod ihres Mannes John Lennon wurde sie in einigen Medien
vor ihrer Ausstellung im Frauenmuseum immer noch als "Witwe"
angekündigt. Für eine solche Negierung einer eigenständigen Künstlerinnenpersönlichkeit
gibt es keine männliche Analogie.
Natalie LL kam als nächste Fluxuskünstlerin im
November 1995 ins Frauenmuseum. Sie ist die "bedeutendste und
international rennomierteste Künstlerin Polens" (Dr. R. Misselbeck).
Bereits in den 60er Jahren füllten Dokumentationen ihrer "consumption
art" die Seiten internationaler Kunstzeitschriften. "Ein
grundlegendes Prinzip ihrer Arbeit besteht darin, daß ihre Fotografien
keine Wirklichkeit abbilden, sondern Fiktionen, ein konzeptionelles
Vorgehen, in der das Medium Fotografie stellvertretend für andere künstlerische
Aussagen eingesetzt wird."
Die Ausstellung Natalie LL´s sorgte bei
verschiedenen Besucher/innen mehrmals für Aufregung. Ihre Banane, aus
der "consumption art" der 60er, wurde zu unrecht ausschließlich
als phallisches Relikt bezeichnet, denn sie ist ja nun mal weiblich!
Natalie LL´s schwarz-weiße grafische
"Altardecken" (was nicht der Bezeichnung der Künstlerin
entliehen ist) entpuppten sich bei näherer Betrachtung als
hocherotische Arrangements, welche die ganze Scheinheiligkeit einer
Gesellschaft entlarvt. Tod und Erotik wurden hier humorvoll sarkastisch
miteinander verbunden.
Eine Performance zum Nibelungenlied mit musikalischen
Elementen aus der Wagner-Oper verwirrte Besucher/Innern völlig: Dabei
wurde hier nur Heldentum persifliert. Schade, daß sowohl Presse als
auch Publikum für soviel Bewußtseinserweiterung oft nicht sensibel
sind.
Marianne Tralau ordnete sich nie selbst als Fluxuskünstlerin
ein. Dies geschah zum ersten Mal durch das Fluxeum in Wiesbaden. Nach
ihrem Kunststudium hat Tralau, als Gobelinweberin ausgebildet, eine sehr
intensive Beziehung zu Textilien , insbesondere zu Wäsche, ausgebildet.
"Indem die Wäsche ins Museum kommt, emanzipiert sie sich",
sagt die Künstlerin. In unserer Gesellschaft ist die Hausarbeit ja
weitestgehend unsichtbar geworden und somit auch die Verdienste
derjenigen, die sie verrichten.
Marianne Tralau gründete 1985 die KAOS-Galerie in Köln,
ein kommunikativer, kooperativer, progressiver Ort der "anderen
Art". Offene Themenausstellungen sorgen hier laut Tralau "für
frischen Wind in der Kölner Kunstszene".
Carolee Schneemann aus New York wird die Fluxusreihe
im Frauenmuseum im Frühjahr 1997 fortsetzen. Sie war Tänzerin, bevor
sie mit Fluxuskünstler/Innen zusammenarbeitete.
1967 veranstaltete sie ihre legendäre "meat joy
erotik": rohes Fleisch wurde im Kontext zur Erotik betrachtet.
"Sie stieß zu Urzeitlichem und zu Grundgeschichten der
menschlichen Psyche vor."
Takako Saito ist seit den Anfängen der
Fluxusbewegung über den "Tod des Fluxus (s. Performance von Al
Hansen mit gleichnamigem Titel!) - soweit dieser überhaupt
stattgefunden hat - bis heute in der Kunstszene ständig präsent. Sie
verzeichnet kontinuierliche Ausstellungs- und Performancetätigkeit über
einen Zeitraum von über dreieinhalb Jahrzehnten hinweg - und das auf
allen fünf Kontinenten. In der Galerie v.d. Milwe in Aachen bot sie unlängst
eine "Drei Sekunden Performance". Sie ist Erfinderin des
"You and me Shops", eine kommunikative Einrichtung auf der
Basis künstlerischen Austausches. Auf der Biennale in Venedig ist sie
regelmäßig vertreten. Außerdem beteiligt sich Takako an weltweiten
Friedensaktionen. Vor zwei Jahren gab sie ihre persönliche Zeitung
"bullshit" heraus. Ihre Ausstellung im Frauenmuseum ist für
November 1997 anberaumt.
Weitere Ausstellungen in dieser Reihe sind
beispielsweise Allison Knowles (New York), Bobby Baker (London), Concha
Jerez (Madrid) oder Mieko Suomi (New York) gewidmet.
Die Gründe, warum Fluxus-Künstlerinnen (nicht nur
in der Literatur, sondern auch in Museen, Fachzeitschriften, Galerien
etc.) unterrepräsentiert sind, sind dieselben, die im Prinzip für alle
Künstlerinnen und generell sowieso für Frauen in anderen Berufen
gelten, z.B:
• kein kontinuierliches Arbeiten aufgrund ab-
gebrochener Ausbildung ( wobei oft konservative familiäre Strukturen
daran hinderlich sind, zu Abschlüssen zu kommen)
• Zusammenarbeit mit Lebenspartnern und da bei
Vernachlässigung der eigenen Entwick- lung zugunsten einer
partnerbezogenen Z u arbeit
• Mangel an Selbstbewußtsein/Bescheidenheit
• fehlendes Management und daraus resultie- render
Mangel an Öffentlichkeit
• allgemeine Zurückhaltung der Medien und
Multiplikatoren gegenüber Künstlerinnen, weil entsprechende
Institutionen von Män- nern dominiert werden und sich die wenigen
Frauen oft genauso frauenfeindlich geben wie Männer
Für den durch das Frauenmuseum, BBK und
Frauenministerium ausgelobte Gabriele-Münter-Preis für Künstlerinnen
über 40 bewarben sich ca. 4000 Frauen. Nicht nur diese enorme Zahl an
Bewerberinnen oder etwa das Kölner Künstler/Innen-Verzeichnis belegen:
Künstlerinnen gibt es genausoviele wie Künstler!
Der Vortrag wurde gehalten bei der 2.
Performance-Konferenz am 15.6.96 im Rhenania,Köln.